Der Präsident des Deutschen Naturschutzrings Hartmut Vogtmann beklagte anlässlich des Klima-Aktionstags am Samstag, niemand würde im aktuellen Wahlkampf vom notwendigen Ausstieg aus der Kohle sprechen. Das stimmt nicht ganz. Unsere LINKE Forderung nach einem nationalen Kohleausstiegsgesetz mit festgelegten Restlaufzeiten für die Meiler gehört zu fast jedem Statement, das ich in den letzten Wochen zu umweltpolitischen Themen abgegeben habe.

Eva mit Rad
(Foto: © Eva Bulling-Schröter)

Doch warum brauchen wir überhaupt ein solches Kohleausstiegsgesetz, fragen manche, wenn es doch den EU-Emissionshandel (ETS) gibt, auf den alle anderen Parteien setzen, von Grünen bis CSU? Mit letzterem könnten fossile Brennstoffe viel eleganter aus dem Markt gedrängt werden, als mit unserem Vorschlag im Parlament, der doch sehr nach überkommenen Ordnungsrecht rieche, so Vorwürfe auch von anderen Parteien und einigen Umweltverbänden. Fehler in diesem ETS-System könne man schließlich beheben. Jetzt das Pferd zu wechseln, nach acht Jahren Emissionshandelssystem, sei doch abenteuerlich!

Ja, es stimmt. Der Emissionshandel könnte ein scharfes Schwert sein, wenn er richtig eingefädelt worden wäre. Die Obergrenze der Emissionen wäre begrenzt, ein Anreiz bestände, dort CO2 einzusparen, wo es volkswirtschaftlich am preiswertesten ist. „Hätte-hätte-Fahrradkette“ möchte man fast mit dem glücklosen Peer Steinbrück sprechen. Denn die Sache mit dem Emissionshandel ist tatsächlich gegessen. Er wird niemals so reformiert werden, wie es nötig wäre um die Kohleverstromung unter wirtschaftlichen Druck zu bringen. Dagegen stehen die Interessen nicht nur von Staaten mit hohem Kohleanteil, wie Polen und einigen südeuropäischen Ländern. Dagegen steht auch die deutsche Industrie, die über das Bundeswirtschaftsministerium bislang noch stets einen wirksamen Emissionshandel verhindert hat.

Im Ergebnis haben wir heute EU-weit fast zwei Milliarden überschüssige Emissionsrechte, angehäuft aus den letzten fünf Jahren. Seit Monaten hängt darum der CO2-Preis im Keller - eher bei 5 Euro statt bei jenen 25 bis 40, die notwendig wären, um wichtige Klimaschutzinvestitionen rentabel zu machen. Dass derart viele Emissionsberechtigungen auf dem Markt sind, hat drei Gründe: den massenhaften Zustrom von fragwürdigen Billiggutschriften aus Projekten im globalen Süden (CDM), die Wirtschaftskrise und eine lobbygetriebene Überzuteilung an die Wirtschaft. Schon im letzten Jahr stieg deshalb der Anteil der klimaschädlichen Braun- und Steinkohle am deutschen Strom-Mix von 43 auf 45 Prozent.

Während die Erneuerbaren wachsen, sollten die fossilen Erzeugungskapazitäten eigentlich schrittweise vom Netz gehen. Doch letzeres passiert nicht, Deutschland exportiert darum trotz schrittweiser Abschaltung der AKWs jedes Jahr neue Rekordmengen Elektrizität ins Ausland, vor allem Strom aus Kohlemeilern. Die Bundesregierung hat trotzdem immer noch keine Position zur Reform des ETS, welches genau so etwas verhindern sollte. Dabei hat die EU-Kommission bereits im Oktober 2012 Sinnvolles vorgeschlagen: Die überschüssigen Emissionsrechte dauerhaft stilllegen, den CO2-Minderungspfad bis 2020 in Energiewirtschaft und Industrie deutlich verschärfen, windige Auslandsgutschriften nicht mehr anrechnen etwa. Und dafür natürlich und endlich das EU-Klimaschutzziel bis 2020 von minus 20 auf minus 30 Prozent Treibhausgase gegenüber 1990 anheben.

Kurz vor der Sommerpause hat das EU-Parlament nach mehreren Anläufen zwar einen formalen Weg für solche Reformen eröffnet. Neue Zertifikats-Auktionen der EU sollen einen Teil der Emissionsrechte verzögert auf den Markt bringen. Eine endgültige Stilllegung dieser riesigen Überschüsse – sie repräsentieren etwas ein gesamtes CO2-Jahresbudget der Europäischen Union in der Energiewirtschaft und Industrie - steht jedoch in den Sternen. Auch schärfere Minderungsziele sind nicht in Sicht.

Seit ungefähr zwei Jahren geht es nun schon so: Warten, warten, nochmals warten auf wirksame ETS-Reformen. Und es überrascht, wer mit in der Warteschlange steht. Die meisten Fachleute in den Umweltverbände sind mittlerweile offensichtlich in das hochkomplexe System, in dass sie sich so mühsam eingearbeitet haben, derart verliebt, dass sie Alternativen dazu gar nicht mehr denken können. Vergleichbares gilt für SPD und Grüne. Hinter der Blockade auf europäischer Ebene kann sich darum ganz Deutschland verstecken. Derweil steigen hierzulande die CO2-Emissionen weiter. Zudem wird der Netzausbau, welcher eigentlich für den Zuwachs an Ökostrom geplant wird, überdimensioniert angegangen. Und zwar weil die Bundesnetzagentur angesichts der lächerlichen CO2-Preise nicht damit rechnet, dass im nächsten Jahrzehnt spürbar weniger Kohlestrom produziert wird als heute. Wegen der europaweit gültigen gesetzlichen Vorgaben zum diskriminierungsfreien Netzausbau muss sie das Netz nun für ein Szenario konzipieren, in dem sich zunehmend Öko- und Kohlestrom gleichzeitig drängeln – was für ein Irrsinn für Ökonomie und Ökologie. Und welch eine Perversion des Begriffs Energiewende

Die LINKE brachte darum schon Anfang des Jahres einen Antrag in den Bundestag ein, der eine Alternative aufmachte: Entweder, die Mitgliedsstaaten würden es gemeinsam schaffen, bis zum Frühjahr den EU-Emissionshandel radikal zu reformieren, um ihn endlich klimaschutztauglich zu machen, oder die Bundesregierung müsste für Deutschland politisch das Scheitern dieses Instruments feststellen. In diesem Fall sollte in Berlin der Startschutz für etwas Neues fallen: für ein nationales Kohleausstiegsgesetz.

Für die ETS-Reform wurden im Antrag Kriterien benannt, die u.a. auf den genannten Optionen der EU-Kommission basieren. Doch sie wurden verfehlt. Darum sollte nun nach unserer Meinung tatsächlich mit einem Kohleausstiegsgesetz ein Modell von Greenpeace ins Spiel kommen, welches die Organisation im Mai 2012 vorstellte. Daran angelehnt könnten nach unserem Antrag ab 2014 die jährlichen Strommengen aus Kohlekraftwerken begrenzt und in den Folgejahren stetig und weitgehend linear reduziert werden. Der Neubau von Kohlekraftwerken und der Neuaufschluss von Tagebauen würde verboten. Infolge eines solchen Gesetzes könnte spätestens 2040 das letzte deutsche Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Die Rest-Strommengen sind in diesem System an die Betreiber von Kohlekraftwerken anhand von Effizienz-Benchmarks unter Berücksichtigung der bisherigen Laufzeit zu vergeben.

Mit dem LINKEN Vorstoß wäre die Chance wieder eröffnet, Deutschland international in eine Vorbildrolle beim Umbau des Energiesystems zu bringen. Wenn es die Bundesrepublik als Industrieland mit seinem vergleichsweise hohen Stromverbrauch packt, weitgehend auf eine regenerative Energieversorgung umzusteigen, dann müsste dies auch in anderen Staaten machbar sein. Nie war eine Vorreiterrolle der Bundesrepublik so wichtig – und so realistisch möglich bei entsprechenden Weichenstellungen - wie die bei der Energiewende.

Die europäische Energiewirtschaft und -Industrie hat zusammen mit der herrschenden Politik dafür gesorgt, den Emissionshandel als marktnahes Klimaschutzinstrument gegen die Wand zu fahren. Da ernsthafte Reformen bis heute immer noch nicht erfolgt sind muss deshalb nun zumindest in Deutschland das Ordnungsrecht übernehmen. Schließlich ist der Schutz der Erdatmosphäre zu wichtig, um ihn Spekulanten oder Marktapologeten zu überlassen.