Was die Anti-AKW-Bewegung seit Jahrzehnten sagt, hat sich in Japan einmal mehr bestätigt: Die Nutzung der Atomenergie ist nicht zu verantworten. Die Risiken sind nicht beherrschbar, die Endlagerfrage ist weltweit nicht gelöst, und wir bürden den künftigen Generationen noch Tausende Jahre die Folgen unserer kurzsichtigen Energiepolitik auf.

(Foto: Udo Schuldt)
Kohle, Öl und Gas? Nein danke!
Doch gleichzeitig müssen wir auch raus aus Öl, Kohle und Gas, und zwar so schnell wie möglich. Denn die Folgen des Klimawandels sind mindestens so fatal wie die der Nutzung der Atomenergie. Wir stellen in diesen Tagen enttäuscht fest, dass viele profilierte Atomkraftgegner die Notwendigkeit, gleichzeitig aus der fossilen Stromerzeugung auszusteigen, herunterspielen und als vermeintlich „kleineres Übel“ verharmlosen.
Prominente Ausstiegsszenarien (etwa von Greenpeace) setzen ausdrücklich den Zubau neuer fossiler Kraftwerke (Gas-, aber auch Kohlekraftwerke) voraus! Dabei ist auch bei Gaskraftwerken, auf die etwa Greenpeace jetzt verstärkt setzt, zu bedenken: Die relativ günstigere CO2- Bilanz im Vergleich zur Kohle bezieht sich lediglich auf den laufenden Kraftwerksbetrieb, keineswegs auf den gesamten Prozess ab der Gasförderung (bei der sehr viel Methan freigesetzt wird) einschließlich dem Transport!
Die neue Landesregierung in Baden-Württemberg hat den ehrgeizigen Plan, bis 2020 aus der Atomenergie auszusteigen, die derzeit 50% des Stroms bereitstellt. 10% sollen durch neue Windanlagen gedeckt werden, die restlichen 40% aus fossilen Energien! Auch der Präsident des Bundesumweltamtes, Jochen Flasbarth, plädiert für einen Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2017. Dieser sei auch möglich, wenn man „alle derzeit in Bau befindlichen und geplanten fossilen Kraftwerke“ in das Szenario mit einbeziehe! Diese Haltung ist ein nicht hinzunehmender Zynismus. Sie spielt in chauvinistischer Manier unsere Sicherheitsinteressen gegen die Lebensinteressen der Menschen aus, die – vor allem im globalen Süden ‒ zu den ersten Opfern der Klimakrise gehören werden. Selbst ohne einen beschleunigten Atomausstieg ist die Erreichung des – ohnehin unzulänglichen – Klimazieles der Bundesregierung höchst fraglich. Mit dem nun bevorstehenden beschleunigten Ausstieg wird sie endgültig zur Farce.
Wir stehen vor der Situation, dass der Klimawandel sehr schnell ins Unkontrollierbare kippen kann. Angesichts der Tatsache, dass die selbst ernannten ökologischen Vorreiter und die Bevölkerungsmehrheit die weitere Stromerzeugung aus fossilen Quellen anscheinend als das vermeintlich kleinere Übel wenigstens für die nächsten Jahrzehnte hinzunehmen bereit ist, kommt es jetzt darauf an, genau gegen diese Renaissance von Kohle und Gas Widerstand zu organisieren! Die jetzt präsentierten Ausstiegsszenarien sind auch ein Offenbarungseid. Sie machen deutlich, dass das Niveau unseres Stromverbrauchs eben nicht einfach mittels erneuerbarer Energien gehalten werden kann.
Den Stromverbrauch radikal senken
Ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energien und deren möglichst effiziente Nutzung sind dringend geboten. Doch wir dürfen uns nichts vormachen: Das jetzige Niveau des Stromverbrauchs (der im Übrigen nur etwa 20% unseres gesamten Endenergieverbauchs ausmacht!) wird auf diese Weise nicht aufrecht erhalten werden können. Die bisherige Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien (derzeit 17%) an der Stromerzeugung hat lediglich das Angebot insgesamt erhöht und wurde durch einen entsprechenden Mehrverbrauch völlig wett gemacht. Er hat also ökologisch rein gar keinen Effekt. Ein solcher wäre nur eingetreten, wenn im gleichen Maß atomare und fossile Kapazitäten abgebaut worden wären. Vor allem aber: Erneuerbare Energien sind nicht unerschöpflich. Sie haben ein begrenztes Potenzial, und ihre Nutzbarmachung erfordert zunächst selbst einen erheblichen Einsatz von Energie.
Die Energiebilanzen der meisten Formen erneuerbarer Energie, die uns zur Verfügung stehen, sind deshalb in der Regel wesentlich schlechter als die fossiler Energieträger. Die in Deutschland effektivste Energiequelle, die Windenergie, hat nach seriösen Schätzungen ein Gesamtpotenzial von 17 bis höchstens 25% unseres derzeitigen Stromverbrauchs. Das Speicherproblem ist dabei bei Weitem nicht zufriedenstellend gelöst. Und die auszuschöpfenden Effizienzspielräume werden immer kleiner. Es ist eine verhängnisvolle Illusion, anzunehmen, dass lediglich mit einer intelligenteren Technik alles beim Alten bleiben könne. Wir werden insgesamt deutlich weniger Nettoenergie zur Verfügung haben. 1)
Wir dürfen jetzt keineswegs umgekehrt die fossilen Energien zur „Brückentechnologie“ erklären und können auch nicht bis 2050 zuwarten, ob sich die Illusionen der Technikoptimisten eventuell doch erfüllen. Die Konsequenz kann deshalb nur sein: den Stromverbrauch radikal senken, und zwar jetzt! Das würde etwa bedeuten, mit den Instrumenten der Ordnungspolitik Verschwendung zu stoppen und überflüssige energieintensive Produkte (z.B. Rüstungsgüter!) und Verfahren zu unterbinden. Die einfachste Maßnahme ist es zunächst, auf die Subventionierung von Energieverschwendung zu verzichten. So ist es jetzt geradezu grotesk, das in vielfacher Hinsicht unsinnige Elektroauto auch noch mit etlichen Milliarden Steuergeldern zu fördern!
Eine politische Gestaltung der Strompreise wäre etwa ein gangbarer Weg, um die notwendigen Reduktionen auf sozial gerechte Weise herbeizuführen. Ein bestimmtes Maß an Energie- und Strom- verbrauch könnte als Grundbedarf definiert und entsprechend preiswert zur Verfügung gestellt werden. Alles, was über diesen Grundbedarf hinausgeht, könnte im Gegenzug mit progressiv ansteigenden Preisaufschlägen versehen werden. Dies wäre die Umkehr der bisherigen Logik, die den Strom bei wachsendem Verbrauch vor allem für die Unternehmen billiger macht. Gerade den energieintensiven Branchen darf Strom nicht mehr zu Dumpingpreisen zur Verfügung stehen! Im Gegenteil: Wir werden ab jetzt weniger Aluminium und Zement herstellen, weniger Stahl kochen, weniger Papier erzeugen können. Wir werden angesichts der Knappheit der zur Verfügung stehenden Energie an Mengenregulierungen und Quotenvergaben nicht umhin kommen.
Selbstverständlich ist die Energieversorgung vollständig privaten Profitinteressen zu entziehen und in öffentliche Hände zu übergeben. Nur so kann sie im Sinne des Gemeinwohls gestaltet und an den notwendigen Reduktionszielen orientiert werden. Die knapper werdende Energie insgesamt (also nicht nur des Stroms) wird einen Prozess der industriellen Abrüstung und Schrumpfung einleiten, den es politisch im Sinne der sozialen Gerechtigkeit zu gestalten gilt. Was, wie und wie viel produziert wird, wird in Hinkunft demokratisch ausgehandelt und geplant werden müssen und darf nicht länger der Logik der Profitmaximierung überlassen werden. 2)
Der Rückbau der Industriegesellschaft und der Aufbau solidarischer und ökologisch nachhaltiger Strukturen muss angesichts der allgemeinen Einsicht in die Notwendigkeit einer Energiewende jetzt beginnen!